Planet der Pilze

Unsere Erde geht kaputt. Können Pilze sie retten?





Im Jahr 2015 haben sich die Vereinten Nationen 17 Nachhaltigkeitsziele für eine bessere Zukunft gesetzt. Es soll zum Beispiel keine Armut und keinen Hunger mehr geben. Dafür hochwertige Bildung, nachhaltige Städte und saubere Energie. Bis 2030 haben wir Zeit, diese Ziele zu erreichen.




Bei zehn der 17 Ziele können uns Pilze helfen: Zum Beispiel, wenn wir sie nutzen, um Krankheiten zu heilen. Häuser zu bauen. Anstelle von Fleisch zu essen.




In den letzten Jahren haben sich viele Start-Ups und Forschungsprojekte darauf konzentriert, Pilze auf neue Arten zu nutzen. Die drei wichtigsten Zukunftsideen: Häuser aus Pilz-Backsteinen. Steaks aus Pilz-Fasern. Und Heilung durch Pilz-Tabletten.


Neugierig?



1. Auf Pilz gebaut





Die Welt erstickt in Beton.




Zehn Prozent der menschengemachten CO2-Emissionen verursachen wir mit Beton. Das ist viermal so viel wie der gesamte Luftverkehr.




Um das CO2 auszugleichen, das ein Kubikmeter Stahlbeton benötigt, brauchen 4.000 Bäume einen ganzen Tag – alle Ahornbäume Neuköllns.  




Recycelter Beton spart kaum CO2. Ein anderes Material, das gleichzeitig so fest und formbar ist, gibt es nicht.  




Noch nicht. Die Technische Universität Berlin will einen Teil des Betons ersetzen - durch Pilze:

Aus einer einzigen Petrischale können wir eine ganze Stadt bauen.
Friederike Hoberg, TU Berlin



Wenn es schimmelt, freut sich Friederike Hoberg. Dann wachsen Mauersteine, Dämmplatten und Schallschutz. Das fertige Produkt ist so fest wie Holz und so leicht wie Styropor. Außen ist es ganz weich: eine dicke Schicht Schimmel.
Als Doktorandin der TU Berlin erforscht Friederike Hoberg, wie man aus Pilzen Farbe gewinnen und damit Wolle oder ganze Kleidungsstücke färben kann. Sie weiß aber auch, wie man nachhaltige Häuser baut, die nach ein paar Jahren nicht auf dem Sondermüll, sondern auf den Kompost können:



Wie wird aus einem Pilz ein Backstein?

Der Zunderschwamm ist ein Pilz, der vor allem geschwächte Buchen und Birken befällt. Von außen sieht man den weißen Fruchtkörper. An der TU arbeiten die Forscherinnen und Forscher mit verschiedenen Stämmen einer Spezies.

Innen frisst sich der Zunderschwamm durch das Holz.

Innen frisst sich der Zunderschwamm durch das Holz.

Wenn man kleine Stücke vom Zunderschwamm abschneidet und in eine Petrischale legt, wächst der Pilz weiter. Die Netzwerkstruktur aus fadenförmigen Zellen heißt Mycel.  

So sieht das Zunderschwamm-Mycel unter dem Mikroskop aus.

So sieht das Zunderschwamm-Mycel unter dem Mikroskop aus.

Das Pilz-Mycel wird auf Hirse gegeben. Hirse ist eine leicht verdauliche Nährstoffquelle für den Pilz. Dadurch kann er besonders schnell wachsen. 

Das Mycel wächst um die Hirse im Becher.

Das Mycel wächst um die Hirse im Becher.

Hanfschäben bleiben übrig, wenn Hanf-Stroh von den Fasern getrennt wird. Sie sind ein Abfallprodukt und werden höchstens als Streu in Ställen genutzt. Einen Teil der Hirse-Kultur gibt man auf die Schäben. Der Pilz durchwächst sie komplett. Es entsteht ein Pflanzen-Pilz-Verbundmaterial.  

In einer Tüte wächst das Mycel um die Hanfschäben herum.

In einer Tüte wächst das Mycel um die Hanfschäben herum.

Die Masse wird geschreddert und anschließend in eine beliebige Form gedrückt. In dieser Form wächst der Pilz weiter.

Die Form besteht meistens aus sterilem Kunststoff, damit keine anderen Bakterien oder Pilze dem Zunderschwamm Konkurrenz machen.

Die Form besteht meistens aus sterilem Kunststoff, damit keine anderen Bakterien oder Pilze dem Zunderschwamm Konkurrenz machen.

Die Form wird getrocknet. Damit wird der Pilz abgetötet und wächst nicht mehr weiter.  

An den Außenseiten, wo der Pilz die Luft berührt, bildet sich eine weiße, weiche Schicht: Luft-Mycel.  

An den Außenseiten, wo der Pilz die Luft berührt, bildet sich eine weiße, weiche Schicht: Luft-Mycel.  

Aus einem einzigen Pilz lässt sich auf diese Weise beliebig viel Baumaterial herstellen.





Der Pilz kann in jede beliebige Form wachsen. Anstelle der üblichen Mauersteine könnte es in Zukunft welche aus Pilzen geben, die man ineinanderstecken kann - Prinzip Lego.  
Der große Vorteile gegenüber Beton ist, dass der Pilz-Mauerstein die Umwelt schont. Man muss der Natur keine zusätzlichen Ressourcen entnehmen; der Pilz braucht neben Hirse und dem Abfallprodukt Hanfschäben nur Wasser zum Wachsen. Außerdem braucht es viel weniger Hitze und damit Energie, um den Pilz zu trocknen. Wenn ein Pilz-Haus abgerissen wird, muss der Bauschutt nicht aufwendig getrennt und entsorgt werden. Er kommt einfach auf den Kompost.




Obwohl der Zunderschwamm Beton ersetzen soll, hat er ganz andere Materialeigenschaften: Er ist sehr fest, aber gleichzeitig extrem leicht. Deshalb zerbricht er im Gegensatz zu einem Stein nicht, wenn er auf den Boden fällt. Auch die Netzwerkstruktur, die das Mycel bildet, ist einzigartig. Sie bindet das Material und schafft dabei Volumen. Kein anderer Rohstoff kann das. Hier liegt gleichzeitig die Schwierigkeit: Der Mauerstein aus Pilzen ist ein lebender Organismus. Das macht es schwer, einen Standard zu schaffen, bei dem jeder Stein die exakt gleichen Eigenschaften hat.




Pilze könnten sich als Baustoff der Zukunft durchsetzen - wenn nicht als Beton, dann als Dämmung oder Schallschutz. Wie es sich in so einem Haus lebt, kann man in der Uni-Bibliothek der TU Berlin selbst ausprobieren. Dort steht ein Prototyp: Der MY-CO Space. Dorthin kann man sich zum Arbeiten setzen - oder ein Nickerchen machen.




Wie lange so ein Pilz-Haus tatsächlich steht, weiß niemand. Es ist nicht so stabil wie eins aus Beton oder Backsteinen und auch abhängiger von den Wetterverhältnissen. Innerhalb der nächsten zehn Jahre wird es deshalb kein Haus aus Pilzen geben, das trägt, wasserdicht ist und länger als ein Jahr steht, prophezeien Friederike Hoberg und ihr Team:

Die Frage ist: Wie wollen wir in Zukunft leben? Brauchen wir Gebäude, die 1000 Jahre stehen können und wo Kleber dazwischen ist, der nie wieder weg kann? Klinker hat Eigenschaften, die wir mit Pilzen nicht erreichen werden. Dafür haben sie andere Eigenschaften: Sie sind leicht, biologisch abbaubar, aber nicht gemacht dafür, 200 Jahre zu halten. Das ist vielleicht auch okay so.
Friederike Hoberg, TU Berlin

2. Pilze, die nach Schwein schmecken





55 Kilo Fleisch hat jede und jeder Deutsche im letzten Jahr gegessen. Das ist das Doppelte von dem, was für unseren Körper gesund wäre. 




Auf der ganzen Welt hat sich die Fleischproduktion in den letzten 50 Jahren mehr als vervierfacht. Das ist mehr als die Erde verträgt.  




Denn 15 Prozent der weltweit durch den Menschen verursachten Treibhausgasemissionen kommen aus der Tierhaltung und -verarbeitung.  

Mit Fleisch zu konkurrieren heißt auch, mit dem Preis zu konkurrieren.
Isabella Iglesias-Musachio, Bosque Foods



Isabella Iglesias-Musachio sitzt im Prenzlauer Berg in einem Keller mit Start-Up-Flair. In einer Ecke steht ein Tisch mit Kuchen und Süßigkeiten, an der Wand hängt eine große Tafel. Darauf steht, wer für welche Experimente zuständig ist. Hinter der einzigen Tür forschen 20 Mitarbeitende am perfekten Fake-Fleisch. Es soll so aussehen und schmecken wie Huhn, Rind oder Schwein, aber ganz ohne Leiden: Fleisch aus Pilzen.



Unter dem Mikroskop untersuchen die Mitarbeitenden Pilz-Fasern verschiedener Stämme. 55 verschiedene haben sie bisher getestet; zwei davon sind vielversprechend. Sie schmecken lecker, wachsen schnell und das Pilz-Mycel hat eine dichte Gewebestruktur. Besonders das Wachstum entscheidet, ob das Pilz-Fleisch ein Massenprodukt werden kann: Je schneller das Mycel wächst, desto günstiger kann das Produkt verkauft werden.




Die Produkte bestehen aus nur sieben Zutaten: Zu dem Pilz-Mycel kommen Wasser, Salz, Pfeffer und drei weitere geheime Zutaten. Das Mycel selbst schmeckt umami: herzhaft, würzig, fleischig. Die drei Geheimzutaten unterstützen diesen Geschmack.
Das Start-Up ist sehr darauf bedacht, dass niemand das genaue Rezept erfährt. Viele kleine Unternehmen schwemmen gerade den Pilzfleisch-Markt und die Konkurrenz ist groß.




Aus dem Mycel entstehen Hähnchenbrust, Schweinefleisch und Burger-Patties. Das Mycel enthält Aminosäuren, Proteine und Vitamine. Darunter auch Vitamin B12, das der menschliche Körper sonst nur durch Sonne und tierische Produkte aufnehmen kann.




Auch die CO2-Bilanz von Pilz-Mycel ist laut Isabella Iglesias-Musachio um ein Vielfaches besser als die von Fleisch.




Fleischersatz aus Pilz-Mycel gibt es in der EU noch nicht zu kaufen. Weil das Produkt so neuartig ist, muss es erst durch eine Sicherheitsprüfung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit. Isabella Iglesias-Musachios Firma plant, ihr Pilz-Fleisch nächstes Jahr prüfen und ab 2024 in Europa verkaufen zu lassen.



3. Pillen aus Pilzen





Unsere wirksamste Waffe gegen bakterielle Infektionskrankheiten sind Antibiotika. Doch diese Waffe wird langsam stumpf.  




Seit Jahren schlagen immer weniger Antibiotika an. Die Erreger sind resistent geworden.  




Rund 1,3 Millionen Menschen starben 2019 an einer Infektion mit einem resistenten Bakterium - mehr als an Aids oder Malaria. Damit gehören Infektionen durch antibiotikaresistente Bakterien weltweit zu den häufigsten Todesursachen. Auch in Deutschland sterben jedes Jahr rund 15.000 Menschen, weil bei ihnen kein Antibiotikum wirkt.  




Eine der wichtigsten Entdeckungen der Medizingeschichte verdanken wir einem Schimmelpilz: Das erste Antibiotikum Penicillin. Der Entdecker Alexander Fleming erhielt dafür 1945 den Medizin-Nobelpreis. Doch Forscherinnen und Forscher haben große Hoffnungen, dass Pilze auch darüber hinaus von großem Nutzen sein können:  

Pilze sind ungeheuer gute Chemiker
Dirk Hoffmeister, pharmazeutischer Mikrobiologe



Dirk Hoffmeister ist fasziniert von Pilzen. Ganz besonders von halluzinogenen. Ob er selbst schonmal Pilze genommen hat, will er nicht verraten. An der Universität Jena erforscht er, wie und warum Pilze Substanzen herstellen. Er hat zum Beispiel herausgefunden, wie halluzinogene Pilze ihren besonderen Wirkstoff produzieren. Die Stoffe können wir nutzen, um Krankheiten zu besiegen. 

Pilze können sehr komplexe und wirksame Stoffe herstellen. Penicillin verhindert, dass sich Bakterien vermehren. Ciclosporin hemmt das Immunsystem, damit ein Spenderorgan nach der Transplantation nicht abgestoßen wird. Lovastatin senkt den Cholesterinspiegel im Blut. Alle drei Wirkstoffe können aus Pilzen isoliert werden.  




Dass sich Resistenzen gegen Antibiotika bilden, können wir nicht verhindern. Nur verlangsamen. Um weiterhin Infektionskrankheiten heilen zu können, müssen wir Antibiotika gezielter einsetzen. Und: Wir brauchen ganz neue Stoffe mit neuen Wirkprinzipien.  Wo die Pilze schon einmal geholfen haben, könnten sie auch wieder wichtig werden. Vielleicht gibt es auch ganz neue Einsatzgebiete für Pilze: zum Beispiel bei Depression.




Fast jeder fünfte Mensch erkrankt in seinem Leben an Depression. Bei 20 bis 30 Prozent ist diese Depression therapieresistent. Ihr Zustand verbessert sich auch nach mehreren unterschiedlichen Behandlungsformen nicht.  



Dirk Hoffmeister hat herausgefunden, wie Pilze Psilocybin produzieren. Das ist die wichtigste psychoaktive Komponente halluzinogener Pilze.
An der Charité Berlin wird gerade untersucht, ob Psilocybin bei Depressionen helfen kann. Insgesamt gibt es schon über zehn Studien, bei denen es als vielversprechendes Medikament eingestuft wird, um Alkohol- oder Tabak-Sucht, Ängste und Depressionen zu therapieren.  Von Psilocybin selbst kann man nicht süchtig werden.




Unter ärztlicher und therapeutischer Aufsicht machen Patient*innen ein- oder zweimal die psychedelische Erfahrung durch. Anschließend müssen sie mehrere Monate lang keine Medikamente mehr nehmen. Es kann sein, dass eine einzige Dosis ausreicht, um den Zustand dauerhaft zu verbessern. Einmal-Gabe statt Dauer-Medikation.




Dirk Hoffmeister denkt, dass Psilocybin in fünf Jahren zugelassen sein könnte, um Depressionen zu behandeln.



Häuser, Fleisch und Medikament: Pilze sind Alleskönner. In Zukunft könnten sie in weiteren Bereichen eine Rolle spielen: Zum Beispiel als Leder-Ersatz in der Textilindustrie. Oder als Treibstoff im Auto. 




Wenn wir lernen, Pilze richtig zu nutzen, schont das Ressourcen - und hilft, den Planeten zu retten, diese Hoffnung eint die Forscherinnen und Forscher in ihren Laboren:

In Pilzen schlummert ein einzigartiges Potenzial. Sie beantworten Fragen, die wir noch gar nicht gestellt haben.  
Dirk Hoffmeister, Universität Jena